Michael Morgner ist Zeit seines Lebens seinem einzigartigen Formenrepertoire treu und in der Region Chemnitz sesshaft geblieben. Dort entwickelte er nach dem Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig sein reduziertes, aber symbolisch reiches Figurenarsenal. Er legt grafische Körpergerüste an, verknappt die Liniengeflechte und verdichtet sie zu Piktogrammen. Stehende, Schreitende und Hockende beleben seither die oft abstrakten Bildgründe.
In Grafikfolgen ätzt er die Linien tief in die Platten. Doch die grafische Technik limitiert das Format, während er auf seinen großformatigen Leinwänden auf Expansion und Monumentalität aus ist. Und wie ein Archäologe arbeitet er sich dann in die Tiefenschichten des Materials, spaltet Papierlagen und reißt, fetzt an den Bildhäuten.
Oder er druckt vielsagende Corpora auf fragile Seidenpapiere und macht daraus „Schweißtücher“ elementarer Weltereignisse. Knitterspuren erinnern an Tuchfalten, Farben durchdringen sie wie Christi Blut.
Seine wichtigste Bildformel ist seine „Angstfigur“. Sie ruht in einer Kapsel, als wäre sie gefangen in gewaltigen Festungsmauern, die sie wie ein dicker Panzer ummanteln. Äußeren Kräften schonungslos ausgeliefert, verharrt sie in Resignation und Angststarre. Zum Sinnbild für den gefährdeten und leidenden Menschen nutzt Morgner das Ecce-Homo-Motiv, das tief in der christlichen Mythologie verwurzelt ist. Ihm aber ist es Ausdruck subjektiven Erleidens. Aktiver Gegenspieler ist sein „Schreitender“, der sich, die Arme energisch nach oben gerissen, kühn Lebensraum erobert.
Dr. Linn Kroneck